Ein Blogartikel von Joyce Cordus
Diese Woche habe ich eine liebe Nachricht von einer Freundin erhalten. Das hat mich sehr glücklich gemacht, denn unsere Freundschaft ist gerade in eine neue Phase eingetreten.
Wir haben uns vor langer Zeit kennengelernt, in der Blüte unseres Lebens. Wir waren Kolleginnen. Es entwickelte sich eine Freundschaft. Wir haben uns regelmäßig gesehen. Nicht nur bei der Arbeit, sondern auch darüber hinaus. Selbst später, als wir beide unterschiedliche Wege einschlugen, blieb unsere Freundschaft bestehen. Wir verbrachten die Ferien zusammen, konnten stundenlang zusammen draußen im Café sitzen und über alles Mögliche reden: ein gutes Buch, die Arbeit, den Zustand der Welt, das Auf und Ab mit unseren Kindern oder unseren Liebsten… Damals hatten wir immer eine Meinung zu irgendetwas.
Bis zu unserer ersten richtigen Fernreise in ein für uns beide fremdes Land. Dort passierte etwas, das eine langjährige Freundschaft zu beenden schien. Vielleicht lag es daran, dass wir durch ein Land mit einer wirklich völlig anderen Kultur reisten, mit der wir uns beide schwertaten. Wir hatten beide mit den gemischten Gefühlen zu kämpfen, die das fremde Land und die noch fremdere Kultur mit sich brachten. Ich jedenfalls fühlte mich sehr unwohl. Wie kann ein Land mit einer so schönen und reichen Kulturgeschichte so intolerant gegenüber seinem eigenen Volk sein? Sowohl gegenüber Frauen als auch gegenüber Männern. Das hat mich in Bezug auf mich selbst und meine Ansichten verunsichert, aber seltsamerweise auch in Bezug auf meine Reisegefährtin.
Jedes Gruppenmitglied hatte eigene Vorstellungen von Land, Leuten, kulturellen ‚Eigenheiten‘ und dem Umgang damit. Mit den anderen Gruppenmitgliedern darüber zu sprechen, schien unmöglich. Nicht einmal mit einem meiner besten Freunde. Jedenfalls passierte das aus irgendeinem Grund nicht. Alle blieben gemütlich und unbequem in ihrer eigenen Blase. Auch ich. Das führte schließlich zu einem großen Streit und einer Entfremdung zwischen meiner Freundin und mir. Ohne uns zu verabschieden, schienen wir unsichtbar und lautlos aus dem Leben der anderen zu verschwinden.
Bis ich sechs Jahre später plötzlich das starke Bedürfnis verspürte, wieder Kontakt zu ihr aufzunehmen. Aber ich fühlte mich nicht wohl dabei. Ich wollte genau wissen, was damals zwischen uns passiert war, und ich vermisste unsere Freundschaft. Da ich wusste, dass sie das vielleicht ganz anders sehen würde, schickte ich ihr eine Nachricht, ohne zu wissen, ob sie noch dieselbe Nummer hatte. Erst einen Monat später erhielt ich eine Antwort. Ich hatte schon fast aufgegeben.
Lange Rede, kurzer Sinn: Wir haben uns verabredet. Der Termin lief nicht ganz glatt, aber wir waren beide froh, uns wiederzusehen und miteinander zu reden. Wir haben beide unsere Geschichte erzählt, was passiert ist. Aber wir haben uns auch gegenseitig die Frage gestellt: Wie konnte das passieren? Es war ein schwieriges, aber offenes Gespräch. Daraus entnahm ich, dass wir beide zu dieser Zeit in unserer eigenen ‚Sorgenblase‘ gefangen waren. Ich hatte erst wenige Monate vor der Reise aufgehört zu arbeiten, war umgezogen und musste mich neu erfinden. Auch sie war in einer solchen Situation. Und anstatt darüber zu sprechen, habe ich alles für mich behalten, all diese negativen Gefühle und Selbstvorwürfe… Meine Freundin hat im Grunde dasselbe getan. Ich erkannte die Ohnmacht, die wir als Menschen empfinden können, den Schmerz und die Trauer. Geteilte Menschlichkeit. Es war für uns beide eine große Erleichterung, unsere Geschichte erzählen zu können. Das hat den Weg zur Vergebung geebnet.
Erst jetzt, zwei Jahre später, wird mir bewusst, wie wertvoll es war, diesen Prozess durchlaufen zu haben. Ihre letzte Nachricht bestätigt, dass wir beide das Richtige getan haben. Wir konnten einander verzeihen und dort weitermachen, wo wir aufgehört hatten. Zugegebenermaßen anders als vorher, aber alles verändert sich, auch ein Phänomen wie Freundschaft. Faszinierend, eigentlich …
Diese Erfahrung zeigt, dass Vergebung nicht immer einfach ist und ein langwieriger Prozess sein kann. Wenn wir aber spüren, dass wir in Wut, Groll, Reue oder anderen negativen Gefühlen gefangen sind, kann es durchaus hilfreich sein, sich auf den Prozess einzulassen. Das erfordert allerdings Mut. Aber eine echte und wertvolle Freundschaft ist es allemal wert.
Blog: Joyce Cordus, April 2024
Zeichnung: Willemien van Gurp